Hunteburg/Niedersachsen

Chronologie einer "Alleenrettung" von Eduard Müller

Hunteburg ist ein Dorf am Nordrand des Wiehengebirges mit ca. 3900 EW, nicht besonders hübsch, nicht besonders hässlich, aber es hat eine Besonderheit: Sternförmig laufen auf das Dorf  sechs fast intakte Lindenalleen zu. Ich wohne an einer dieser Zufahrtstraßen, der L 79, ca. 1 km vom Dorf entfernt in einem typischen niedersächsischen "Kotten".

November 2009  

Ich beobachte von meinem Haus aus, wie ein Mann den Stammumfang von Linden der  mir gegenüberliegenden Baumreihen an der Landesstraße vermisst. Auf meine Frage, warum er das tue, antwortet er zunächst ausweichend. Dann erfahre ich, dass hier die Sanierung einer Erdgasleitung geplant ist, der eine Reihe der ca. 100 Jahre alten Lindenallee voraussichtlich zum Opfer fallen werde.

Nach zahllosen Telefonaten mit der Gemeinde Bohmte, zu der Hunteburg gehört, mit der unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Osnabrück, der Straßenbauverwaltung des Landkreises, der Straßenbauverwaltung des Landes Niedersachsen, dem Büro des Landesverkehrsminsters (damals Herr Bode, FDP), dem Umweltministerium (damals Herr Sanders, FDP) und der Staatskanzlei (damals Christian Wulf, CDU) in Hannover erfahre ich, dass das Land Niedersachsen die vom Bundesverkehrsminister für Bundesstraßen und Autobahnen herausgegebene  "Richtlinie für Passiven Schutz an Straßen 2009 (RPS 2009)"  auch für das Land akzeptiert. Niedersachsen geht noch einen Schritt weiter: Es schreibt auch den Landkreisen vor, sich dieser Richtlinie zu unterwerfen, wenn sie bei grundlegender Sanierung von Kreisstraßen Zuschüsse zum Straßenbau bekommen wollen. Die RPS 2009 fordert u.a., dass Bäume einen Mindestabstand von 4,50 m vom Straßenrand haben müssen. Damit ist die RPS 2009 ein staatliches Alleenvernichtungsprogramm, denn hinter den Baumreihen der Alleen beginnen im Flächenland Niedersachsen sofort die Felder der Landwirte. Das bedeutet für uns in Hunteburg: Wenn Erdgas Münster die Alleenbäume fällt, können keine Ersatzpflanzungen vorgenommen werden.

Dezember 2009

In Erwartung einer schwierigen Angelegenheit wende ich mich an die  für den Landkreis Osnabrück zuständigen MdL aller Parteien. Ich bekomme zunächst nur von Filiz Polat, Bündnis 90/ Grüne, die Zusage ihrer Unterstützung für das Anliegen, die Hunteburger Alleen zu schützen.

Februar 2010

Wir müssen damit rechnen: Die Beseitigung einer Baumreihe an der L 79 beseitigt auch die Allee dauerhaft. Ich bitte den Landesverkehrsminister (NS), Herrn Bode, FDP, brieflich um Unterstützung und bekomme eine abschlägige Antwort.
Ich gründe eine Bürgerinitiative "Freunde der Hunteburger Alleen", die sich zum Ziel setzt, die Alleenzufahrten zu unserem Dorf vor der Zerstörung zu bewahren.

März 2010

Wir starten eine Unterschriftenaktion zur Rettung der Allee vor meinem Haus; wir wollen damit erreichen, dass Erdgas Münster entweder auf die Sanierung der Erdgasleitung verzichtet und einen "Bypass" legt oder dass der Verkehrsminister erlaubt, die Bäume an der Landesstraße wieder an gleicher Stelle anzupflanzen. Bei dieser Aktion zeigt sich, dass die einheimische Bevölkerung sich der Besonderheit ihrer Alleenkultur kaum bewusst ist. Es gilt, wie sooft, als selbstverständlich, was schon lange währt…

April 2010

Entgegen allen Unkenrufen bekommen wir über 1100 Unterschriften. Das sind fast alle arbeitenden Einwohner unseres Dorfes. Die Aktion hat den Bürgern den kulturellen Wert unserer Alleen in besonderer Weise bewusst gemacht.

Mai-Juni, 2010

Wir senden die 1100 Unterschriften an die Staatskanzlei in Hannover, Ministerpräsident Christian Wulff, mit der Bitte um "nachhaltigen Schutz" für unser "Kulturgut Alleen", insbesondere um die Erlaubnis, abgeholzte Alleenbäume wieder anpflanzen zu dürfen. Eine böswillige Odyssee beginnt:
Herr Wulff schickt die Unterschriften an Herrn Sanders (FDP) vom Umweltministerium, Herr Sanders schickt sie an Herrn Bode (FDP) vom Verkehrsministerium, der schickt sie an die untere Naturschutzbehörde am Landkreis Osnabrück. Die untere Naturschutzbehörde sagt, sie kann nichts machen, da es sich hier um eine Landesstraße und um ein Landesgesetz handelt.
Wir erfahren all das erst auf mehrfache Nachfrage und sind zornig und frustriert über den behördlichen Umgang mit unserem demokratischen Anliegen.
Unterstützungsschreiben und Kontakte von BUND und SDW, dem Bohmter Bürgermeister, dem Landesverband der Heimatvereine, unsere 1100 Unterschriften – das alles prallt an der Landesregierung gefühllos ab. Hier scheint es um ein ganz wichtiges Thema zu gehen, die Interessen der Logistikfirmen z.B., denen unsere Alleen ein Dorn im Auge sind, weil sie – Gott sei Dank – zu vorsichtiger Fahrweise zwingen, den Interessen der Autoindustrie, welche die Bäume, nicht die Fahrweise der Autofahrer für Baumunfälle verantwortlich machen möchte, die Interessen der Versicherungsindustrie, welche die Verantwortung bei Baumunfällen auf die Länder abzuwälzen versucht usw. . Zugegeben, das sind Vermutungen, aber was soll man tun außer vermuten, wenn die Regierung mit der Wahrheit hinterm Berg hält und abzuwimmeln versucht.

Juli 2010

Karin Evers-Meyer, friesländische Bundestagsabgeordnete (SPD) und Cornelia Behm, brandenburgische Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Alleenschutzgemeinschaft e.V. fordern öffentlich: "Rettet unsere Alleen!" Denn Alleen seien ein Kulturgut. Genau das behaupten auch wir seit einem halben Jahr. Aber wieso sind die Alleen überhaupt bedroht? Und wer hat einen Vorteil davon, wenn sie abgeholzt sind? Diese Frage scheint niemanden zu beschäftigen.

Herbst 2010

Wir müssen andere Kaliber in Stellung bringen. Die höflichen Formen bürgerlicher Aktivitäten, Unterschriftenlisten, höfliches Bitten, Erklärungen über die Interessen und Bedürfnisse der unmittelbar betroffenen Bürger werden von Seiten der niedersächsischen Landesregierung kaltschnäuzig ignoriert. Die Schreiben im unverständlichen Verwaltungsjargon, in denen ein Paragraph auf den nächsten verweist, die Zuständigkeiten einer Behörde auf die nächste verschoben werden, sind ein diplomatisches Nichts; es soll dem Bürger aber vorspielen, man habe sich mit dem Thema in seinem Sinne beschäftigt.
Jetzt gehen wir an die Presse, schreiben selbst Artikel um Artikel für das örtliche "Käseblättchen" und bekommen Kontakt zum NDR Fernsehen.

Oktober 2010

Erfolg! Erdgas Münster beschließt, eine Umleitung ihrer Gasleitung für mehrere hunderttausend Euro zu bauen. Der Imageschaden für das Unternehmen wäre zu groß gewesen. Die Allee an der L 79  bleibt unangetastet.

November 2010

Uns reicht dieser Erfolg nicht. Wir wollen Bestandssicherung. Mehr noch, wir wollen die von den Landesbehörden bisher gefällten Bäume an unseren Alleen wieder ersetzt haben und eine Garantie, dass Alleenbäume, die gefällt werden müssen, an gleicher Stelle wieder ersetzt werden. Die Zeitungen in ganz Niedersachsen füllen sich mit Nachrichten über gefällte Bäume. Das Thema ist in der breiten Öffentlichkeit angekommen.
Der CDU-Abgeordnete Heiner Schönecke, von Beruf Landwirt, stellt im Niedersächsischen Landtag eine "kleine Anfrage" an seine eigene Landesregierung mit dem Titel: "Gibt es bald keine Straßenalleen mehr?" Denn auch in seinem Wahlkreis, südlich von Buxtehude und  Harburg regt sich Widerstand gegen die RPS 2009. Die Antwort der Landesregierung ist wie gewohnt schwammig, ja man möchte sagen unverschämt: Alleen seien wichtig für Niedersachsen. Aber: "Sie unterliegen dem Bestandschutz, solange die Strecke keine Unfallhäufung aufweist und nicht um- oder ausgebaut wird." (Niedersächsischer Landtag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/3148). Damit lassen sich getrost Bäume fällen! Kein Wort davon, sie auch wieder anzupflanzen!

Herbst 2010

Das NDR-Fernsehen sendet in der Reihe "Hallo Niedersachsen" einen Bericht über das Engagement der "Freunde der Hunteburger Alleen". Es gibt viel Zuspruch aus der örtlichen Bevölkerung.

Februar 2011

Die Regierungsfraktionen im niedersächsischen Landtag (Drucksache 16/3309), wie auch die Opposition fordern die Regierung auf, den Alleenschutz in Niedersachsen zu beachten. Der gemeinsame Antrag der Mehrheitsparteien CDU und FDP ist allerdings derart wachsweich formuliert, dass mit einer Einschränkung der RPS 2009, die ja ein staatliches Alleenvernichtungsprogramm darstellt, nicht zu rechnen ist. Die weitergehenden Anträge von SPD und Grünen werden abgeschmettert. Immer wieder fragen wir uns: Welche gesellschaftlichen Gruppen sind in der Lage, so impertinent gegen die Bedürfnisse einer breiten Öffentlichkeit zu operieren, Bedürfnisse, die selbst diejenigen politischen Vertreter zum Handeln zwingen, die – das wird ja in den Anträgen überdeutlich - eigentlich jene alleenfeindlichen Gruppen bedienen möchten.
Wie sich schon im Antrag der Regierungsfraktionen und in der späteren Beschlussfassung des Parlaments zeigen wird, werden hier keine Kompromisse zwischen Verkehrssicherheit, Wirtschaftsinteressen, Umweltforderungen und Kultur-Interessen der Bevölkerung erarbeitet. Nein, es bleibt bei der RPS 2009 mit ihrem stattlichen Alleenvernichtungsprogramm, abgemildert durch  konjunktivische Aussichten bei Einzelfallprüfungen unter ganz bestimmten Bedingungen und Umständen, die uns dann wieder rekursiv zur RPS 2009 führen. Unglaublich, was Juristen und Politiker vermögen; sie verkaufen uns Widersprüche als Problemlösung!

Frühjahr 2011

Ich bemühe mich bei den zuständigen Behörden um eine Genehmigung zur Ergänzung der Allee L79. Hier sind in den letzten Jahren viele Bäume herausgesägt worden. Wir wollen wieder eine geschlossene Allee haben.
Die Behörden erweisen sich aber als ebenso hartleibig wie die niedersächsische Regierung während der letzten 14 Monate. Mit Verweis auf die RPS 2009 scheint kein Kompromiss möglich.
Daraufhin beschließen wir unter den Augen der Öffentlichkeit (Presse, Fernsehen) eine Aktion bürgerlichen Ungehorsams und unsere Bäume "illegal" zu pflanzen. Erdgas Münster finanziert uns 13 Linden!  

19.3.2011

Wir pflanzen an der L 79. Unter den Augen des NDR-Fernsehens und der Presse.
Allerdings hat unser Bürgermeister, Klaus Goedejohann, zuvor in einem diplomatischen Parvorce-Ritt in kurzer Zeit alle zuständigen Behörden zur Zustimmung (mit einigen akzeptablen Einschränkungen) bewegen können. Vor allem die Vorkehrungen für die Verkehrssicherheit sind aufwendig. Unsere eigenen Versuche, diese Genehmigungen zum Pflanzen der Alleenbäume zu bekommen, waren zuvor mit den üblichen behördlichen Machtdemonstrationen geradezu abgeschmettert worden. Vor allem die Bedingungen der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr mit Sitz in Osnabrück wären für uns Normalbürger unerfüllbar gewesen. Manche kann man geradezu als Erpressungsversuch ansehen, z.B. diese hier: "Sofern  sich… seitens der Verkehrsschau die Notwendigkeit des Aufstellens von Schutzplanken vor den Nachpflanzungen herausstellen sollte, ist dann die Frage der Kostenübernahme zu klären!" (Mail v. 11.3. a.d. Bürgermeister von Bohmte). Kostenübernahme für Leitplanken? Wer bitte soll die denn übernehmen, wenn nicht das Land! Hier geht es nur darum, die Initiative von Bürgern durch behördliche Macht zu erdrosseln.

März 2012

Die "Freunde der Hunteburger Alleen" und der "Hunteburger Heimatverein" pflanzen erneut, diesmal an einer Ortsstraße, 10 Linden, um die dezimierte Allee wieder aufzufüllen. Zwei Monate später werden sechs junge Linden Opfer von Vandalen: Die Bäume werden in der Mitte durchgebrochen. Unsere Aktion hat eben auch Feinde.

17. März 2012

Der Syker Kurier meldet, dass dem Kreis Diepholz 400 000 Euro erspart bleiben, weil einige Kreisstraßen nicht nach den Richtlinien der RPS 2009, sondern nach einer alten Richtlinie (ESAP) instand gesetzt werden dürfen. Die Kostenersparnis resultiert ausschließlich aus der Tatsache, dass mehrere hundert Alleenbäume nicht gefällt werden müssen.

Oktober 2012

Die MdL der Grünen, Filiz Polat, überreicht mir stellvertretend für die "Freunde der Hunteburger Alleen" einen Scheck von 300 Euro für weitere Baumpflanzungen aus dem Fond der Landtagsgrünen "Grüne Hilfe statt Diätenerhöhung"

Fazit:

Der bürgerliche Aufwand im Kampf gegen staatliche Macht ist ungeheuer groß. Die behördliche Stimmung gegenüber unserem Anliegen, Alleen zu schützen, kann man getrost als "feindlich" beschreiben. Das ist nicht in Ordnung. Wir sind keine Revolutionäre. Wir gehören zur bürgerlichen Mitte. Wir sind konservativ im Sinne des Wortes: Werterhaltend. Wir übernehmen Verantwortung für unsere Region. Die betroffenen Behörden aber empfinden unsere Verantwortung als Einmischung in ihre Angelegenheiten – ein Staatsverständnis wie in einer k. u k. Monarchie! Wenn die niedersächsische Regierung und ihre nachgeordneten Behörden in Niedersachsen auch dafür bei der Niedersachsenwahl 2013 ihre Quittung bekommen haben, dann macht das Hoffnung auf die weitere Entwicklung eines demokratischen Bewusstseins in der Bevölkerung. Ich fürchte allerdings, es wird noch ein dorniger Weg, bis sich staatliche Behörden als demokratische Dienstleister des Volkes empfinden.

Der Landkreis Osnabrück hingegen hat unser Anliegen verstanden. Zwei unserer sechs Ortszufahrten sind Kreisstraßen; an beiden Straßen hat der Landkreis im Frühjahr 2013 zahlreiche neue Alleenbäume gepflanzt. Darüber freuen wir uns sehr!

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